Der Zusammenbruch des Stadtarchivs in Köln, der Brand der Amalia-Bibliothek in Weimar oder das Hochwasser in Halle und Dresden – diese Ereignisse zeigen: Deutsches Kulturerbe ist in großer Gefahr. Weit weniger spektakulär, aber genauso schädigend, ist die Bedrohung durch den schleichenden Klimawandel.
2019 bestätigte die Unesco die Aufnahme der deutschen Theater- und Orchesterlandschaft in die Liste des immateriellen Unesco-Weltkulturerbes. In der Bewerbung wurden die Gründe angeführt, dass Theater und Orchester wichtige Räume der freien Meinungsäußerung, der öffentlichen Debatte und kritischen Reflexion seien. Das sind sicher nicht die Gründe, die die Bevölkerung anführen würde, um klassische Musik zu schützen und zu erhalten.
Meinungen zur klassischen Musik
Einer Forsa-Umfrage entsprechend halten 88 Prozent in Deutschland klassische Musik für ein wichtiges Kulturerbe, aber nur jeder Fünfte hat im letzten Jahr ein klassisches Konzert besucht. Es scheint nicht in das Bewusstsein zu dringen, dass es sich um ein immaterielles Kulturerbe handelt. Aber Theater- und Orchesterlandschaften leben nicht vom Geld allein. Sie benötigen auch Schauspieler und Musiker.
Die verlorene Generation der Klassik
Die Auszeichnung ist nicht mit finanziellen Zuwendungen verbunden. Ohne Besucher von Klassikkonzerten, wird die hohe Anzahl von Orchestern auf Dauer nicht zu halten sein. Nur jeder zehnte Konzertbesucher ist jünger als dreißig Jahre. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass die Elterngeneration der heute Dreißigjährigen zu den 68ern gehörte. Diese Generation hat sich gegen das Establishment aufgelehnt und wurde fast ausnahmslos durch Popmusik geprägt. Die Kinder der 68er wurden demzufolge nicht mit klassischer Musik und Konzertbesuchen sozialisiert. Die Fachleute sprechen hier vielfach von der verlorenen Generation der Klassik. Schule beziehungsweise Musikunterricht konnten das Defizit nicht auffangen. Außerschulische Musikförderung benötigt die Unterstützung der Eltern, die hier vielfach nicht gegeben war.
Klassik sucht Marketing-Experten
Die Gründe den Konzertsälen fernzubleiben sind vielfältig. So werden von den jungen Leute zu wenig Zeit, zu hohe Kosten und unverständliche Inhalte angeführt. Es werden charismatische Persönlichkeiten und neue Formate benötigt, um junge Leute anzusprechen. An der Deutschen Oper in Berlin werden Babykonzerte angeboten. Die Berliner Philharmoniker führen Late-Night-Konzerte durch und die Neue Philharmonie Westfalen wirbt sehr erfolgreich mit Familienkonzerten mitten im strukturschwachen Ruhrpott. Der Erfolg kann sich durchaus sehen lassen. Allerdings bleibt es hier bei Einzelprojekten, die nicht in der Breite vermarktet werden.
Kulturelles Erbe ohne Erben
Der demographische Wandel hat auch die Konzertsäle erreicht. Ein steigender Altersdurchschnitt im Publikum ist deutlich erkennbar. Auch hier gilt es, wie allgemein in der Gesellschaft, einen Umgang mit der gedrehten Alterspyramide zu finden. Das Publikum zeigt sich grundsätzlich aufgeschlossen, wenn es auf die richtige Art und Weise angesprochen wird. Bildung und Publikumsentwicklung sind bedeutende Themen für Konzertveranstalter. Eine Studie zur Musikvermittlung durch Neue Medien des Institutes für Kultur- und Medienmanagement in Hamburg 2006 zeigte, dass hier Traditionalisten auf Innovative stoßen. Dies wird nicht nur bei Verantwortlichen der Szene so sein, sondern auch beim Publikum. Neue Medien werden beispielsweise schon flächendeckend beim Kartenverkauf oder in der Werbung für klassische Musik genutzt. Für die Vermittlung oder für die Inszenierung enthält der Einsatz neuer Medien noch ein großes Potenzial. Das würde vielleicht jüngere Zielgruppen ansprechen, aber es dürfte schwieriger sein, es älteren Traditionalisten näherzubringen.
Neue Medien in der Klassik
Neue Medien enthalten ein Potenzial für die personalintensive Gruppe der Kinder und Jugendlichen, die aber aufgrund ihrer großen Bedeutung für die Zukunft der Orchester und klassischen Musik nicht vernachlässigt werden darf. Hier sind weitere Kooperationen, wie mit dem Schulsystem, Verlagen oder der Ganztagsbetreuung, denkbar. Damit könnte auch eine Kompromittierung der traditionellen, älteren Klassikbesucher umgangen werden und gleichzeitig der Musikunterricht eine Aufwertung erfahren. Musikalischen Darbietungen der Zielgruppe können einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden.
Ein Suchergebnis auf SoundCloud nach klassischer Musik bringt 500+ Ergebnisse und 255 Playlisten. SoundCloud ist ein Online-Musikdienst zur Verbreitung von Audiodateien. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Werbe- und Kooperationsplattform für Musiker anzubieten. Daher gibt es den Menüpunkt Leute, innerhalb dessen sich nach Standorten filtern lässt. Für die Suche nach klassischer Musik werden 141 Leute verteilt auf zehn Standorte angeboten, die durchschnittlich um die dreißig Jahre und jünger sind.
Die Weitergabe des kulturellen Erbes der klassischen Musik wird davon abhängen, inwieweit der Nachwuchs und seine Eltern für diese Musikrichtung begeistert werden, in Kombination damit, inwieweit sich die Verantwortlichen der Digitalisierung gewinnbringend öffnen können.